Digitale Herausforderungen: Medienbrüche und Fehler trotz elektronischer Patientenakte

Pflegeteams in Krankhäusern nutzen immer häufiger digitale Hilfmittel zur Kommunikation von Patentieninformationen.

In Schweizer Spitälern dokumentieren Pflegefachpersonen wichtige Patientendaten – trotz fortschreitender Digitalisierung – teilweise auf Papier. Medienbrüche führen zu Fehlern. Forschungen des NFP 77 bieten Lösungen.

Wie gelangen klinische Patientinformationen in einem Spital in die richtige Abteilung, zur richtigen Person? Noch heute findet dieser Austausch in verschiedenen Formen statt, sei das mündlich, schriftlich oder digital. Die digitale Weitergabe von klinischen Patienteninformationen haben das Team der Eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung um Patrizia Salzmann und das Medizininformatik-Team der Berner Fachhochschule um Thomas Bürkle in insgesamt sechs Spitälern genauer beobachtet. Dabei kristalisierten sich sechs Schlüsselmomente für die Informationsweitergabe heraus: 1.) Medikamentenabgabe 2.) Dienstübergabe 3.) Patienteneintritt-, übertritt, -austritt, 4.) Medizin-Pflege-Visite 5.) Einlesen und 6.) Einfügen und Bearbeiten von klinischen Patienteninformationen.

Das Forschungsteam schälte zum einen die digitalen Kompetenzen heraus, die das Pflegersonal für diese Aufgaben benötigt und konziperte auf dieser Grundlage Lerninstrumente für die Aus- und Weiterbildung von Pflegefachpersonen. Das erste Lerninstrument ist ein interaktives 360-Grad-Video zum Thema Dienstübergabe:

Das Forschungsteam entwickelte ferner textbasierte Lernsituationen zu weiteren Schlüsselmomenten der Informationsweitergabe.

Klinische Informationssysteme: Herausforderungen und Lösungsansätze

Ein weiteres Kernthema der Studie waren die zur Informationsweitergabe verwendeten klinischen Informationssysteme und deren Benutzerfreundlichkeit. Dazu wurden in den Spitälern eine Vielzahl IT-bezogene Ereignisse dokumentiert, bei denen es zu Medienbrüchen und Fehlinformationen kam oder die IT-Systeme technische Probleme oder schlechte Benutzerfreundlichkeit zeigten.

Die relevantesten Ereignisse wurden in enger Zusammenarbeit mit den beobachteten Pflegefachpersonen ausgewählt. Ein kritischer Punkt war z. B. eine persönliche Arbeitsliste, die die Pflegefachpersonen zu Schichtbeginn auf Papier zusammenstellen.

Als Beispiel für einen digitalisierten Ablauf wurde ein Mockup entwickelt, bei dem eine solche Arbeitsliste im klinischen Informationssystem zusammengestellt und dann auf ein mobiles Gerät übertragen werden kann. Ein weiteres Mockup bildet den Workflow rund um die Verlegung von Patientinnen und Patienten zur Operation und die dabei aktuell verwendeten papierbasierten Checklisten digital ab. Es basiert auf einem Tablet-PC mit allen relevanten Informationen in digitaler Form, der den Patienten auf seinem Weg durch das Spital begleitet.

Zudem wurden Probleme in der digitalen Auftragskommunikation analysiert und auch hierfür verbesserte digitale Arbeitsabläufe abgeleitet. Sämtliche Werkzeuge wurden in Workshops mit den Praxispartnern getestet und validiert.

Drei Hauptbotschaften aus dem Projekt

  1. In den bestehenden Rahmenlehrplänen Pflege sind digitale Kompetenzen nicht explizit enthalten. Die zunehmende Digitalisierung im Gesundheitswesen und die damit verbundenen Kompetenzanforderungen erfordern neue Aus- und Weiterbildungsinstrumente in der Pflege. Diese müssen die heutige und zukünftige digitale Arbeitspraxis berücksichtigen. Die im Digi-Care-Projekt dokumentierten realen Arbeitssituationen und damit verbundenen Kompetenzanforderungen können als Orientierung für die Entwicklung neuer Rahmenlehrpläne Pflege dienen.
  2. Trotz fortgeschrittener Digitalisierung in den Spitälern und einer weitgehend etablierten elektronischen Patientenakte finden wichtige Dokumentationstätigkeiten weiterhin parallel auf Papier statt und führen zu Medienbrüchen und der Gefahr von Fehlern. Hier sind technische Lösungen erforderlich, um passende digitale Abläufe zu entwickeln und die Gebrauchstauglichkeit der IT-Systeme zu verbessern.
  3. Einige der in diesem Projekt beobachteten Usability-Probleme hätten vermieden werden können, wenn bereits bei der Entwicklung des IT-Systems eine enge Zusammenarbeit zwischen den Entwicklern der Medizininformatik und dem medizinischen Personal etabliert worden wäre. Die Umsetzung solcher kollaborativen Designansätze hängt von der Bereitschaft der IT-Entwickler und des medizinischen Personals und den hierfür bereitgestellten Ressourcen ab.