Gerichtsurteile im Spannungsfeld zwischen Transparenz und Privatsphäre
Die Justiz soll einerseits Zugang zu Gerichtsentscheiden gewähren, andererseits die Privatsphäre durch Anonymisierung schützen. Diese beiden, auf Grundrechten beruhenden Ansprüche schliessen sich jedoch teilweise gegenseitig aus. Dieses Projekt erforscht, wie beide Anforderungen erfüllt werden können.
Projektbeschrieb
Erstens wollen wir die Rechtslage bezüglich der elektronischen Veröffentlichung von Gerichtsurteilen klären. Zweitens wollen wir Gerichtsurteile analysieren und erforschen, wie künstliche Intelligenz Informationen aus anonymisierten Entscheiden generieren kann. Drittens wollen wir die Positionen der verschiedenen Interessengruppen im Justizsystem – Gerichte, Anwaltschaft, Prozessparteien, Medien, Gesellschaft – bewerten sowie die Meinungen von Expertinnen und Experten sowie der Öffentlichkeit zu Transparenz und Privatsphäre ermitteln. Viertens werden wir einen Interessenabgleich vornehmen und allgemeine Regeln zum Umgang mit Gerichtsurteilen in elektronischer Form formulieren.
Hintergrund
Schon heute veröffentlichen zahlreiche Gerichte ihre Urteile im Internet. Mit dem von den Kantonen gestützten Projekt "Justitia 4.0" soll in der Schweiz generell die elektronische Gerichtsakte eingeführt werden. Obschon die technische Entwicklung, zum Beispiel künstliche Intelligenz, eine De-Anonymisierung veröffentlichter Urteile ermöglicht, gibt es bislang keine interdisziplinären Untersuchungen zur Anonymisierung von Gerichtsurteilen. Nicht erforscht ist auch die Meinung von Gesellschaftsgruppen zur Publikation von Urteilen im Internet.
Ziel
Wir wollen untersuchen, inwiefern die heute gängige Anonymisierung von Gerichtsentscheiden Schwachstellen aufweist und aufzeigen, wie diese korrigiert werden können. Für diese Analyse wollen wir fundierte rechtliche und technische Grundlagen schaffen und diese auch veröffentlichen. Dabei werden wir insbesondere eng mit der European Commission for the Efficiency of Justice (CEPEJ), der Schweizerischen Vereinigung der Richterinnen und Richter (SVR) und dem Verein eJustice.CH zusammenarbeiten.
Bedeutung
Wir werden eine Online-Plattform entwickeln, mit welcher Gerichte beurteilen können, wie gross die Gefahr ist, dass ihre anonymisierten Entscheide de-anonymisiert werden. Dieses Werkzeug soll es Gerichten ermöglichen, ihre Urteile so zu anonymisieren, dass die Wahrscheinlichkeit einer Re-Identifikation der Prozessparteien minimiert werden kann. Ausserdem werden wir generelle Richtlinien für die Publikation von Gerichtsurteilen schaffen.
Originaltitel
Open Justice versus Privacy