Wie Spurweite oder Legosteine: Normen auch für die digitale Transformation
Wer treibt die Digitalisierung in der Schweiz voran? Wer setzt die Standards, die unser Leben bestimmen und beeinflussen? Und was haben diese Standards mit Vertrauen zu tun? Eine Diskussion zwischen Erica Dubach von der Bundeskanzlei und der Forscherin Regula Hänggli.
Sieben Departemente, 26 Kantone, über 2000 Gemeinden – und alle sollten möglichst unkompliziert Daten untereinander austauschen können: Das ist keine einfache Aufgabe. Erica Dubach und ihre Kolleginnen und Kollegen des Bereichs «Digitale Transformation und IKT-Lenkung (DTI)» der Bundeskanzlei arbeiten mit an den Grundlagen dazu. Hier braucht es den Blick für das Ganze – und Standards. Denn Standards sind die Grundlage für eine effiziente Zusammenarbeit auf der technischen Ebene – Dubach vergleicht sie mit Legosteinen, die sich dank ihrer genau definierten Eigenschaften für kleine wie grosse Gebilde aller Art einsetzen lassen.
Ein Beispiel für eine gelungene Standardisierung ist etwa die Einführung der Unternehmens-Identifikationssnummern (UID). Sie ermöglicht eine eindeutige Identifikation jedes im Handelsregister eingetragen Unternehmens. Durch diese Vereinfachung und dank der Speicherung dieser Daten an einem zentralen Ort hätten Unternehmen schweizweit schätzungsweise zwischen rund fünf und 30 Millionen Franken weniger Administrativaufwand pro Jahr, sagt Dubach. Dies weil sich Behördengänge erübrigten oder vereinfacht wurden.
Einheitliche elektronische Schnittstellen – sogenannte API – erlauben den Datenfluss in alle Richtungen, so wie der Zugverkehr besser funktioniert, wenn alle Gleise dieselbe Spurbreite haben. APIs ermöglichen es auch, Daten offen zugänglich zu machen – nicht nur innerhalb der Verwaltung, sondern auch für Forschende sowie für Bürgerinnen und Bürger. «Ein Beispiel, das wohl die meisten kennen, ist Swisstopo», erklärt Dubach. Die gesamten topographischen Daten der Schweiz sind in einer App für alle Interessierten zugänglich. Und alle Interessierten haben auch die Möglichkeit, eigene Daten hochzuladen. Auch die Daten von Meteoschweiz sind für alle zugänglich.
Der Austausch mit der Forschergemeinde und mit der Bevölkerung könnte aber noch viel weiter gehen, findet Regula Hänggli, Professorin für politische Kommunikation an der Universität Fribourg. Sie leitet ein Projekt im Rahmen des NFP 77, das sich mit der Rolle des Vertrauens in einer funktionierenden Demokratie befasst. «Es ist gut, dass der Bund bestimmte Schnittstellen als Standard definiert», findet sie. «die Standards sollten sich am Gemeinwohl orientieren und positive Auswirkungen auf die gesamte Bevölkerung haben». Aus dem Publikum wurde gefragt«Doch was, wenn sich kleinere Betriebe, zum Beispiel in der Landwirtschaft, diese Umstellung nicht leisten können? Kann man sich der Normierung entziehen, oder wie werden diese Standards durchgesetzt?» Dazu könne der Bund Anreize schaffen, erklärt Erica Dubach, damit auch kleine oder sehr spezialisierte Fachanwendungen der Verwaltung den Anschluss nicht verpassen. Manchmal reiche es auch, aufzuzeigen, dass die neuen Normen dem Gemeinwohl dienen. Hänggli schlägt vor, der Bund könnte für die API und generell eine Open-Source-Strategie verfolgen. «So können alle Interessierten dazu beitragen, diese elektronischen Bausteine zu erweitern und weiterzuentwickeln». Es braucht kombinatorische Innovation und ein digitales Ökosystem. Hänggli führt auch an, der Bund könnte sich Taiwan als Vorbild nehmen: das Land hat eine Digitalisierungsministerin, die jede Woche in eine andere Region reist und den Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern sucht, um ihre Anliegen bezüglich des digitalen Wandels aus erster Hand zu erfragen. Auch bei Projekten und Initiativen des Bundes solle die Bevölkerung vermehrt mit einbezogen werden – da sind sich Dubach und Hänggli einig.
Nicht zuletzt hat die Erfahrung mit der Abstimmung zur elektronischen ID zu dieser Erkenntnis geführt: Bundesrat und Parlament wollten mit dem Gesetz eine staatlich regulierte und sicherere, elektronische Identität schaffen. Obwohl man auf politischer Ebene sehr zuversichtlich war, wurde die Vorlage abgelehnt. Nun soll es in einem zweiten Anlauf gelingen, das nötige Vertrauen in dieses wichtige Digitalisierungsprojekt aufzubauen.
NFP-77-Projekt: Vertrauen und Legitimation in der digitalen Demokratie
Nach einem durch die Pandemie bedingten teilweise schwierigen Start in die Forschungsphase haben praktisch alle Projekte Fahrt aufgenommen und in vielen Fällen sogar erste Zwischenresultate erarbeitet. Das war der Zeitpunkt, um die Forschung und die Praxis, an die sich die Resultate eines Nationalen Forschungsprogramms richten, ein erstes Mal zusammentreffen zu lassen. Am ersten Programm Meeting formulierten Persönlichkeiten aus dem Kreis der Stakeholder ihre Thesen, Fragen und Erwartungen an das NFP 77. Forschende reflektierten und konterten. Insgesamt ein Tag des intensiven Austausches.