«Der Bundesrat hat die Digitalisierung lange vernachlässigt»

Nationalrätin Judith Bellaiche gehört zum Kernteam der Parlamentarischen Gruppe Digitale Nachhaltigkeit Parldigi. Auch als Geschäftsführerin des Wirtschaftsverbands der ICT- und Online-Branche Swico arbeitet sie aktiv an einer digitalen Zukunft der Schweiz. Im Interview spricht sie darüber, welche Fragen und Ängste die Menschen bei diesem Thema bewegen.

Frau Bellaiche, Sie setzen sich für einen digital nachhaltigen Umgang mit Wissensgütern ein – wo steht die Schweiz aktuell?

Der Weg zur digitalen Nachhaltigkeit ist ein Prozess, ein Vorgang der Erkenntnis: wo läuft es gut, wo gibt es Korrekturbedarf? An diesem Punkt befinden wir uns jetzt. Oberstes Ziel ist es, dass die Digitalisierung nachhaltig erfolgt. Denn sie soll Bestand haben und vertrauenswürdig sein.

Wie gross ist denn das Vertrauen der Bevölkerung in den digitalen Staat?

Die einzige breite Willensbekundung der Bevölkerung, die wie dazu haben, ist die Abstimmung zur E-ID von letztem Sommer. Es sollte eine elektronische ID geben, die von Privaten betrieben wird. Die Bevölkerung hat dies aber entgegen dem Parlament abgelehnt. Sie hat mehr oder weniger klar gesagt, dass der Staat diese herausgeben soll, so wie eine herkömmliche ID oder ein Pass. Das heisst aus meiner Sicht, dass die Menschen ein grosses Vertrauen in den Staat haben.

Ist die Schweiz schnell genug unterwegs?

Der Bundesrat hat das Thema Digitalisierung sehr lange vernachlässigt und verniedlicht. Aber nun hat er in der Corona-Krise realisiert, wie schwierig es ist, im Ernstfall nicht bereit zu sein. Damit hat der Druck auf die Verwaltung und die Behörden enorm zugenommen – mit all den Pannen, die passiert sind, wie etwa fehlerhafte Daten oder unzureichendes Impfmonitoring. Doch in der Bundeskanzlei und in gewissen Verwaltungsbehörden ist nun Einiges in Gang gekommen, und sie wollen jetzt etwas bewegen.

Dann könnte es jetzt also zügig vorangehen?

Die Prozesse sind träge und die Zugänge zur Digitalisierung sind unterschiedlich: Da jedes Departement wie ein Staat für sich handelt, gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen den Departementen kompliziert. Mit einem Projekt zu den Schnittstellen treibt die Bundeskanzlei dies nun aber voran. Schlussendlich ist aber auch der parlamentarische Prozess sehr langsam, da müssen auch wir Parlamentarier uns an der Nase nehmen. Doch wenn der politische Wille einmal da ist, läuft es in der Regel schon.

Wo liegt der grösste Handlungsbedarf?

Swico hat Ende 2021 gemeinsam mit dem Forschungsinstitut Sotomo eine
Bevölkerungs-UmfrageExternal Link Icon durchgeführt, bei der die Teilnehmenden staatliche Themenfelder priorisieren sollten. Dabei zeigte sich, dass das Schutzbedürfnis der Befragten besonders gross ist. An erster Stelle steht die Frage um unberechtigte Zugriffe auf ihre Daten oder Manipulationsrisiken. An zweiter Stelle lagen Bedenken bezüglich digitaler Gewalt. Also, dass man im digitalen Raum angreifbarer ist als im physischen. Und man ist sich nicht sicher, wie man sich schützen oder reagieren soll, wenn man angegriffen wird. Der dritte Schwerpunkt betrifft die Bildung: Sind unsere Kinder, Jugendlichen und überhaupt die ganze Gesellschaft auf den Wandel und neue Berufsbilder vorbereitet? Hier braucht es nun ein gewisses Korrektiv und einen Sinneswandel beim Staat.

Ist man denn bisher eine andere Schiene gefahren?

Der ganze Diskurs um den digitalen Staat hat sich immer um Fragen wie E-Government, E-Voting oder E-ID gedreht. Wie wir nun sehen, war das eine relativ begrenzte Betrachtungsweise, und die Bevölkerung hat andere Prioritäten.

Bevölkerungs-UmfrageExternal Link Icon

ParldigiExternal Link Icon