Digitalisierung als Chance für mehr politische Mitsprache
Die Schweizer Bevölkerung verbringt zwar viel Zeit im Netz, doch die Politik spielt dabei nur eine Nebenrolle. Ein NFP 77-Projekt zeigt, dass eine digitale Plattform für die politische Beteiligung funktionieren könnte.
Die sozialen Medien stellen eine Herausforderung für den demokratischen Prozess dar. Auf Facebook und Co. lassen wir uns eher von Gleichgesinnten in unseren Positionen bestärken und tauschen seltener Meinungen mit Andersdenkenden aus. Nicht zuletzt hat die Corona-Pandemie gezeigt, wie sehr dies politische Debatten erschweren kann.
Wie ein demokratisches Gegengewicht zur Einseitigkeit der sozialen Medien aussehen könnte, zeigt das NFP 77-Projekt der Forschungsgruppe Année Politique Suisse APS, welches am Institut für Politikwissenschaften der Universität Bern angesiedelt ist. Denn die Digitalisierung könnte auch eine Chance für neue Wege der politischen Teilhabe von Bürgerinnen und Bürgern sein. Die zentrale Forschungsfrage war dabei, ob die Bevölkerung ein Angebot zur Teilnahme an digitalen Beteiligungsformaten auch annehmen würde.
Um diese zu beantworten, schuf die Projektgruppe ein neues Onlineportal – die Demokratiefabrik (https://www.demokratiefabrik.ch/), die Interessierte zur Beteiligung aufruft. Konkret konnte die Bevölkerung der Gemeinde Köniz im Vorfeld der Gemeindewahlen vom September 2021 einen Fragebogen für das Online-Wahlhilfe-Tool Smartvote (https://www.smartvote.ch/de/home) erarbeiten. Normalerweise wird dieser von Smartvote anhand von Inputs von Parteien und Medienpartnern erstellt. Der Zweck des Fragebogens: Die Kandidatinnen und Kandidaten für Parlament und die Regierung von Köniz füllen ihn im Vorfeld der Abstimmungen aus, darauf basierend erstellt Smartvote wiederum das Profil, anhand dessen die Bevölkerung ihre politischen Positionen mit den Kandidierenden abgleichen kann.
Durch die Demokratiefabrik konnten die Wählerinnen und Wähler nun direkt Einfluss darauf nehmen, zu welchen Themen die Politik im Wahlkampf Stellung nehmen musste. Insgesamt wirkten so über tausend Stimmberechtigte aktiv an der Erarbeitung des Fragebogens mit – die Teilnahmequote lag bei zwölf Prozent der Angefragten. «Für ein politisches Online-Format dieser Art ist das viel», sagt Marlène Gerber, Co-Direktorin von APS und Projektverantwortliche, und zeigt sich sehr zufrieden. Damit sei klar, dass das Interesse in der Bevölkerung an einer derartigen Plattform vorhanden ist.
Das Forschungsprojekt ist aber noch nicht vorbei: In einer zweiten Phase wollen die Forschenden untersuchen, wie sich die Beteiligung an der digitalen Partizipation auf die politischen Kompetenzen der Teilnehmenden auswirkt. Die Grundidee bleibt die gleiche: Die Bevölkerung soll selbst politische Inhalte mitgestalten. Im Vorfeld der eidgenössischen Volksabstimmung vom November 2022 sollen die Stimmberechtigten ein Argumentarium für eine Vorlage erarbeiten – ähnlich dem roten «Abstimmungsbüechli» des Bundes.