Künstliche Intelligenz hilft auf der Notfallstation, die richtige Diagnose zu stellen

Digitale Systeme schlagen Ärztinnen und Ärzten mögliche Diagnosen vor. Neu sollen sie statt Vorschläge machen, die Befunde der Mediziner bewerten.

Wolf Hautz untersucht die Rolle digitaler Assistenzsysteme bei der Diagnosestellung auf Notfallstationen.

Im medizinischen Notfall sind die Krankheitsbilder komplex, und es geht um Leben und Tod. Dabei machen Ärztinnen und Ärzte auch Fehler. Etwa eine von zehn Diagnosen auf der Notfallstation sei falsch, schätzt Wolf Hautz vom Universitären Notfallzentrum am Inselspital Bern.

Fehler kommen aber nicht nur wegen Zeitmangel und Stress zustande, sondern auch weil Menschen der sogenannten «Satisfaction of Search» unterliegen. Hautz veranschaulicht dies am Beispiel eines Gleitschirmpiloten, der nach einer missglückten Landung schwerverletzt ins Spital eingeliefert wurde. Auf dem Röntgenbild leicht zu erkennen waren Brüche an Schulterblatt und Rippen. Auch der Pneumothorax war deutlich. «Das erwartet man nach so einem Unfall», sagt Hautz. Darum würde auch ein geübtes Team – nicht nur in der Notfallmedizin – anschliessend nicht mehr weitersuchen. Denn man hat ja gefunden, wonach man suchte. Doch die Bildauswertung mittels eines computergestützten Diagnosesystemen (CDDS) entdeckte im linken Lungenflügel des Gleitschirmpiloten eine Covid-19-Erkrankung. Damit hatte die künstliche Intelligenz dem medizinischen Team wertvolle Hinweise gegeben, woran der junge, sportliche Mann auch noch litt. Und so Personal und andere Patienten vor einer Covid-Ansteckung bewahrt.

Neben solchen Einzelfällen ist nicht bekannt, inwieweit der Einsatz von CDDS die Qualität der medizinischen Diagnosen und damit die Gesundheit einzelner Patientinnen und Patienten tatsächlich verbessert. Dies untersucht nun das Team um Wolf Hautz im Rahmen des NFP 77. «Solche Systeme leisten heute Erstaunliches», sagt er. «Aber ist es das, was Ärztinnen und Pflegende vor Ort brauchen?»

Wenn die Entwicklungsteams nicht wissen, welche Fragen die Leute am Krankenbett haben, programmieren sie ihre Algorithmen am medizinischen Alltag vorbei, vermutet Hautz. Darum postuliert er nicht nur eine intensive Zusammenarbeit zwischen Entwicklern und Anwendern, sondern prüft auch eine Umkehr des Konzepts von computergestützten Diagnosesystemen. Heutige Systeme machen Vorschläge für mögliche Diagnosen mitsamt dazugehörenden Wahrscheinlichkeiten. Die Ärzte entschieden dann – oft im Vertrauen auf die Maschine. Mit umgekehrter Rollenverteilung schlagen Ärztinnen und Ärzte die Diagnosen vor, die KI unterstützt sie dabei lediglich, die richtige Entscheidung zu treffen. So bleibt nicht nur die Verantwortlichkeit beim Menschen, sondern auch das Gefühl dafür.

Kurzreferat Wolf Hautz am 2. Schweizer Kongress für Telenotfallmedizin und Digital Health 2021External Link Icon

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